Gelassene Unruhe

Natürlich ist es so, das ein Urlauber am Urlaubsort meistens entspannter ist, als daheim. Doch selten überträgt sich diese Entspannung auf sein Umfeld, schon gar nicht auf den Straßenverkehr. Wenn dann also auffällt, dass es sich irgendwie anders fährt, dann liegts nicht nur an einem selbst.


Wiederholt ist mir das nun auf Mallorca aufgefallen. Nicht nur mir, sondern auch meinem Schatz und den Kindern. Damit will ich nicht sagen, das nun alle Mallorquiner perfekte Autofahrer sind, die sich zu 100% an die Verkehrsregeln halten. Doch auffällig ist da, das sich wirklich ausnahmslos alle dort an eines halten: Fußgänger am Zebrastreifen hat absoluten Vorrang. Ganz egal ob in der großen Stadt Palma mit breiten, mehrstreifigen Straßen oder auf dem winzigen Dorf irgendwo auf dem Weg zur Küste. Zebrastreifen – Fußgänger – Stop! Nicht ein einziges Mal konnte ich es anders beobachten. Selbst die zahlreichen Zweiradfahrer – egal ob motorbetrieben oder nicht – bremsten und hielten an, um den Fußgänger passieren zu lassen. Obendrein nicht mal eben noch ganz knapp, nein, durchaus sehr vorrausschauend.

Aber auch sonst. Etwas, was ich bzw. wir dort praktisch nicht wahrgenommen hatten, waren Autohupen. Ganz ohne ging es freilich nicht, hier und dort wurde schon gehupt. Doch im Vergleich zu den regelrechten Konzerten aus verschiedensten Huptönen in München, nur weil jemand in der falschen Millisekunde den Fahrstreifen wechselt, gibts dort einfach nicht.

Erlebte Beispiele:
Auffahrt auf die recht verstopfte Autobahn auf Mallorca. Platz zum dazwischen mogeln lässt dir keiner. Aber den nimmst dir und das ist dann für den, der zurückbleiben muss in Ordnung. Versucht das mal in Deutschland. Vorfahren, reinmogeln, selbst mit bittendem, freundlichem Blick. Der vermeintliche Hintermann wird auf jeden Fall noch versuchen, vorzupreschen um dich zu zwingen, hinter ihm einzuscheren. Wütende Blicke ihm die bessere Parkposition im Stau nehmen zu wollen inklusive, vielleicht darfst dir auch noch den Unwohlklang seiner Hupe anhören.

Mitten in der Stadt Palma. Ampel schon eine Weile rot, am Straßenrand ein parkendes Fahrzeug, in das gerade eingestiegen wird. Es wird grün, alles rollt an, auch der frisch bestückte Kombi von eben. Doch dieser bleibt plötzlich stehen, es kommt eine Frau mittleren Alters angehetzt, reißt eine der hinteren Türen auf und steigt noch zu. Der Kombi blockiert dabei den Abbiegestreifen, der Verkehr kommt zum erliegen, abbiegen in dieser Grünphase ausgeschlossen. Was höre ich nicht? Hupen. Was sehe ich nicht? Böse Blicke. Was sehe ich? Freundliches, entschuldigendes Lächeln aus dem Kombi und gelassene Blicke aus den Fahrzeugen um mich herum. Alltag. Normal. Stellt euch das mal in München oder einer anderen deutschen Großstadt vor. Grün. Motoren heulen auf. Start des Rennens zur nächsten roten Ampel. Ab aufs Gas um einen möglichst guten Abgang zu haben. Dann das Pacecar im Weg und das Rennen ist gelaufen. Empörtes Hupen, wütendes Gebrülle gegen die Fensterscheiben inklusive wilder Gestikulation, die den Geisteszustand des Fahrers niedermachen, der sich erlaubte noch ein weiteres Mal die Bremse zu nutzen um sein Fahrzeug zum stehen zu bringen. Ganz sicher wird auch in diesem Moment nicht nur einer wild das außenmusikalische Instrument, meist im Kühlergrill verbaut, nutzen, um seinen Ärger Ausdruck zu verleihen.

Du willst parken? Suchst in der Fahrzeugüberfüllten Innenstadt einen guten Stellplatz in der Nähe deiner Wohnung? Schlimmer noch, in der enggassigen Altstadt? Auf Mallorca, ganz egal ob El Arenal tagsüber in Strandnähe, irgendwo in kleinen Dörfern mit wunderschönen Badebuchten oder eben Palma mit sehr vielen, kleinen Nebenstraßen in Wohngebieten, fährst halt dementsprechend langsam. Immer den Blick rechts und links auf Lückensuche gerichtet, Radarartig nach Fahrzeuginnensassen suchend, ob nicht jemand frisch in sein Vehikel gestiegen ist und abfahren möchte. Im Anschleichmodus geht es voran. Was kümmerts den Hinterdreinfahrenden? Scheinbar denkt der sich nur „El porc pobre, buscant una plaça d’estacionament.“ (Die arme Sau, sucht einen Parkplatz) und bleibt gelassen. Kein drängeln, kein hupen. Der nutzt die nächste Gelegenheit um vorbeizufahren und würdigt keines bösen Blickes. Anders in München. Hier musst den Straßenrand quasi auf einen Kilometer genau mit einer Art Laserblick beobachten und im rechten Moment sollte ein Parkplatz regelrecht im Sturzflug besetzt werden. Wehe nicht, ein kostenloses Hupkonzert ist sicher.

Schmale Gassen in Wohngebieten führen natürlich auch dazu, dass ein Fahrzeug nicht mal eben am Straßenrand abgestellt werden kann, um Einkäufe oder gar Koffer auszuladen. Wir hatten das Glück in einem Wohngebiet eine wunderbare Ferienwohnung zu haben. Doch die Straße eng und hoffnungslos zugeparkt. Einfahrten zu schmal, um einen großen SUV abzustellen. Also mitten auf der Straße stehen bleiben, Familie und Koffer entladen, letztere auf den Gehweg verfrachten. Das kostet Zeit, mit Hetze zwei – drei Minuten, ohne etwas mehr. Natürlich fühlt man sich als Ddeutscher – schon aus genervter Gewohnheit – gehetzt, wenn denn ein oder zwei weitere Fahrzeugführer darauf warten, dass es weiter geht. Der Blick zur Frau im herangefahrenen Wagen gerichtet und ein entschuldigendes Schulterzucken zeigend wurde nicht mit einem Schlag auf die peitschengleiche antreibende Hupe quittiert sondern mit einem verständnisvollem, freundlichem Lächeln das eindeutig sagte: Lass dir Zeit, das passt. Ebenso der ruhige Blick des dahinter wartenden Fahrzeugführers.

Anderes Erlebnis. El Arenal, Strand ist angesagt. Auf der Suche nach einem geeigneten Parkraum fällt der Blick auf die gegenüberliegende Straßenseite und einem ausreichend großen Bereich um meinen Dauerpiepser (was es damit auf sich hat, ist in einem vorherigen Blog zu lesen) abzustellen. Also abgebremst und kurz die Verkehrslage abgeschätzt. Bus aus Gegenrichtung, scheinbar weit genug weg um ein Wendemanöver riskieren zu können. Ab und quer in die Lücke, wieder raus, etwas vor und rückwärts rein. Dabei steht der Bus dann praktisch schon neben mir. Leider unkonzentriert auf den Verkehr, dafür konzentrierter auf Piepignoration und Einparken gewesen, von mir unbemerkt geblieben, dass dieser Linienbus schon so nah heran kam. Entschuldigender Blick zum Busfahrer, beschwichtigend meine Hände gehoben und gelächelt. Was ernte ich dafür? Ein sehr freundliches, sehr gelassenes Lächeln mit einer Handbewegung die ganz klar signalisierte: Hey, alles gut, bleib ruhig, das passt wie es ist. Hier in München wirst von Busfahrern beschimpft und ausgehupt wenn du es wagst, jemanden an einer Haltestelle ein- oder aussteigen zu lassen. Nebenbei, völlig legal laut Straßenverkehrsordnung!

Einfädeln aus Nebenstraßen, ganz egal ob in der Stadt oder auf Landstraßen läuft auf der Insel auch anders. Hier ist es oft zu beobachten, aus der Nebenstraße tastet sich jemand an die Kreuzung heran, schaut kurz, schätzt ab, ob das Fahrzeug auf der Hauptstraße langsam genug ist um einen Blechschaden vermeiden zu können und zieht raus. Ist ja wichtig, sich noch vorzudrängeln, ganz egal ob dem, dem er reingeschnitten ist überhaupt ein weiteres Fahrzeug folgt. Auf Mallorca kann ich mich an so ein Verhalten nicht erinnern. Dort wird sehr geduldig gewartet, bis die Lücke groß genug ist, um noch gemütlich seinen Cortado (Espresso mit einem Schuß Milch) zu trinken, den Gang wieder einzulegen und gemütlich loszufahren. Gut, gar so extrem nicht, aber reinquetschen? Nein, nie erlebt.

Auch bei früheren Mallorca Aufenthalten ist mir diese Gelassenheit im Straßenverkehr schon aufgefallen. Nicht das die Mallorquiner die besseren Autofahrer sind, nein, auch sie sehen schon, das sie ihren „Vorteil“ haben. Doch wenn sie diesen nicht bekommen, ist es ganz offenbar nichts, was sie irgendwie belastet. Wenn ich nur vom Fußgängerweg den Verkehr ansehe, dann wirkts schon hektisch, chaotisch. Spuren werden wild gewechselt, Blinker überflüssig. Ein ziemliches Gewusel auf der Hauptstraße rund um den Place de Espana zum Beispiel. Immerhin in jeder Richtung 3 – 4 spurig, nimmt man die Tiefgaragenein- und ausfahrten (die übrigens in der Straßenmitte sind!) dazu. Unfälle? Hupkonzerte? Verfluchen der anderen? Nein, ist mir nicht aufgefallen.

Apropos Parkhaus. Auch da geht es anders zu. Hier in Deutschland eine stundengenaue Abrechnung. Angefangene Stunde = voller Preis für eine ganze neue Stunde. Mallorca: Minutengenau abgerechnet.

In den letzten Wochen nach dem Mallorca Aufenthalt habe ich versucht, diese Gelassenheit im Verkehr zu übernehmen. Es gelingt nicht wirklich. Zwar fahre ich ruhig, vielleicht auch ruhiger, dennoch immer getrieben und gehetzt vom eilighabenden Hintermann. Viele unterschiedliche Klangfarben der umherhupenden konnte ich auch schon wahrnehmen, nicht nur mir geltend.

Ich wünsche mir sehr, das auch hier eine gelassenere Unruhe einkehrt. Was hat man schon zu verlieren? Oder zu gewinnen, wenn man sich gerade noch vormogelt? Oder jemanden nicht in Ruhe einen Parkplatz suchen lässt? Zeit? Wieviel davon? Ein echter Gewinn um sich um irgendwas kümmern zu können?

Bitte bleibt mir gewogen!

Bis zum nächsten Mal, euer
Marcus Sammet

Über Marcus Sammet

Über mich? www.marcussammet.de Da wird alles gesagt.
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