Das Jahr 2016 ist noch jung und frisch, ganz unschuldig und verwirrt beschert es uns Frühlingshafte Temperaturen wo Winter mit Schnee zu erwarten wäre. Zumindest hier, im Süden Deutschlands, hatte es bisher kaum unter 0°C.
In Bus und Bahn geht es dafür richtig heiß her. So erlebt in der letzten Woche. Im gedämmten Licht des Busses vor mich hin dösend, nahm ich ein kreischen wahr, das nicht von einer überfahrenden Katze, eines heiseren Raben oder gar der gequälten Bremse des Beförderungsmittels meiner Wahl stammte. Ausnahmsweise die Haltestelle ohne Vollbremsung anvisierend, bremste der Fahrer den Bus recht sanft ab und blieb punktgenau so stehen, dass sich das Haltestellenschild quasi Millimetergenau mittig zum Fahrzeug befand. Ich muss noch kurz beschreiben, das es sich um einen Gelenkbus handelte, der mit vier Türen ausgestattet war. Deutlich zu hören öffnete sich die hinterste Türe, das Gekreische wurde einen Moment lauter, dann wieder etwas leiser. Die zweite Tür im Heck öffnete sich mit dem üblichen Druckluftzischen, wieder ein Gekreische, ähnlich das einer rostigen Kreissäge zu hören, etwas lauter diesmal. Auch das wurde einen Moment wieder leiser. Inzwischen begann ich zu grübeln. Bei den Linien des MVV ist es so, das der Fahrgast von außen den Türöffner drücken muss, damit die Türen überhaupt aufgehen, anders als bei den Linien München Land(kreis), bei denen der Fahrer die Türen öffnet. Hier war es offenkundig so, das der Fahrer eine Tür nach der anderen öffnete. Die dritte Tür wurde geöffnet und der Bus neigte sich seitlich. Instinktiv hielt ich mich am Griff, der unter dem Fenster befestigt ist fest, in der Erwartung, das der Bus gleich auf der Seite liegen würde. Das Gekreische war nun deutlich als heiser-krächzendes Geschimpfe über den MVV, den Busfahrer, den Bus und dieser Buslinie im Besonderen zu verstehen.
Ein, sagen wir mal nicht ganz auf dem Höhepunkt der Mode aus den 70er Jahren gekleidetes Wesen, betrat den Fahrgastraum. Kurz darauf verdunkelte sich der Raum neben mir und ich dachte bei mir, das es kaum sein könne, das Rainer Calmund um diese Zeit Bus führe. Das, was sich dann formatfüllend auf die Sitze der gegenüberliegenden Sitzreihe fallen ließ, machte selbst das Hinterteil eines ausgewachsenen afrikanischen Elefanten zu einem zarten Popöchen. Dieses monströse etwas der Marke Ritter Sport – quadratisch – praktisch – gut – wobei wohl nur quadratisch zutraf, wetterte lauthals weiter. „Typisch Scheiß MVV, logisch das der Scheißbus nur dann überpünktlich ist, wenn man mal einmal spät dran ist, ganz klar, das der beschissene Fahrer nicht warten kann!“ Es gab noch einige weitere ziemlich wüste Beleidigungen. Nervös warf ich einen Blick auf die Uhr, denn ich war mir sicher, der Fahrer würde reagieren und dieses Etwas (mehr) gleich wieder aus dem Bus jagen. Beförderungspflicht hin oder her, solche Beleidigungen muss der sich sicher nicht gefallen lassen. Doch dieser ließ die Türen wieder zu gleiten und fuhr seelenruhig an. Mein leicht verunsicherter Blick wanderte von dem meckernden Haufen zum Fahrer und zurück. War der Typ taub oder der deutschen Sprache derart unmächtig das kein Wort seinen Verstand erreichte? Die schnaufenden Schimpftiraden hielten noch zwei Haltestellen lang an, dann kam dem Ding aus einer anderen Welt in den Sinn, doch etwas für die Figur tun zu müssen. Aus den tiefen ihres Rollkoffers, ja, Rollkoffers (!) kramte sie eine Frischhaltebox heraus, nahm den Deckel ab, kramte noch eine Gabel aus ihrer Jacke, die sie in den Kartoffelsalat stecke, der die Box füllte und bückte sich erneut über den Koffer. Nach diversen seltsamen Geräuschen förderte sie noch ein Alufolien-Päckchen ans schummrige Licht des Busses, riss es auf und biss wollüstig in das Schnitzel. Nebenbei bemerkt, der sich sekündlich aktualisierende Zeitmesser zeigte 5:47 Uhr. Noch das Schnitzel kräftig und geräuschvoll kauend schaufelte sich dieses Wesen zwei gut gehäufte Gabeln voll des Kartoffelsalats in den … Mund (Futterluke wäre wohl richtiger).
Diese so recht gut gefüllte Öffnung zur Nahrungsaufnahme und gleichermaßen als Kommunikationsmittel erster Wahl gedachte Körperöffnung brachte bei jedem Halt des Fahrgastbeförderungsmittels einen weiteren Schwall an Beschimpfungen für den MVV, der Buslinie und dem Fahrer im besonderen hervor, wobei nicht selten Brocken aus grob zerteiltem Schnitzel in Kartoffelsalatbrei auf der stofflichen Umhüllung dieses Wesens fielen. Mich brechreizunterdrückend wundernd, das der Fahrer alles überhörte oder extrem gelassen hinnahm, erreichten wir die Vorletzte Haltestelle dieser Linie. Ein wenig irritiert nahm ich wahr, das der Fahrer das Gefährt stoppte, obwohl niemand der wenigen Fahrgäste einen Haltewunsch via Knopfdruck äußerte.
„So, Angela, du musst hier raus.“ brummte es von vorn.
Hektisch packte das Ding neben mir ihren Kartoffelsalat, Schnitzelreste und die Gabel in den Koffer und wankte mit einem recht fröhlichen und nettem „Bis die Tage“ aus dem Bus. Die nächsten zwei Stationen hoffte ich, geträumt zu haben, doch wie ich aufstand um an der Endstation den Bus zu verlassen, fiel mein Blick auf Überreste vom Kartoffelsalat auf dem Boden.
Notiz an mich selbst: Nicht mehr um diese Uhrzeit mit dieser Buslinie fahren!
Euch allen ein gutes, heiteres, erfolgreiches und vor allem gesundes neues Jahr!
Bitte bleibt mir auch in 2016 gewogen.
Euer
Marcus Sammet