Kindergeburtstag

Klingt ja generell lustig. Ist wohl auch lustig. Für Kinder. Für Kinder die nicht dabei sind.

Bisher gab es nur dunkle Erinnerungen an meine eigenen Kindergeburtstage, die zu meiner Zeit, also vor rund 40 Jahren einfach nur Geburtstage hießen. Eingeladen wurden die Nachbarskinder, mit denen ich sowieso immer gespielt hatte. Auch die Feier lief nicht viel anders ab, als ein normaler Tag. Es gab halt noch ein Geschenk, es gab Kuchen und Kakao. Es gab leider auch Eltern, die im Wohnzimmer zusammen hockten, tranken und rauchten.

Heute ist das anders. Ganz anders. Spiele, Geschenke, Kostüme, Baufirmen, Katastrophenschutz und eine Hundertschaft der Bereitsschaftpolizei sollte dabei sein.

Doch ich fang mal von vorne an. Bereits Tage zuvor geht der Stress los. Es müssen Tortenauflagen, Süssigkeiten, kleine Geschenke für die Gäste, Getränke, Knabbereien und zu guter Letzt noch Spiele ausgesucht werden. Das heißt schon vorher Stress mit dem Partner. Es gibt halt nicht alles in einem Laden. Zeit für die Vorbereitungen ist auch knapp. Nun, das alles ist nichts. Direkt die Ruhe vor dem Sturm.

Es kommt der Tag der Feier. ZONK! Erster Tritt vor das Schienbein, denn es heißt Kindergeburtstag! Gut, schmerzlich begriffen. Die Aufregung beim Kind ist schon Morgens zu spüren. Gereizt trifft’s eher. Das bisher geliebte Schokocroissant zum Frühstück ist nun etwas, was ja noch nie geschmeckt hat. Mama ist schuld, dass das Kind jetzt verhungern muss, weil es niiieeee das bekommt, was es mag. Außerdem will Kind bespaßt werden, bis es denn tatsächlich losgeht. Es ist ja schließlich IHR Kindergeburtstag. Noch milde lächelnd nehmen wir das also hin und versuchen die Geburtstags-Star-Allüren irgendwie zu ignorieren. Je näher der Zeitpunkt des Gästeeintreffens naht, desto mehr versucht mich, meine Partnerin zu beruhigen. Keine Angst, alles nur süße, kleine Mädchen. Nebenbei die Frage, wo der Feuerlöscher eigentlich ist. Sekunden später Panikausbruch. Es gibt kein Verbandsmaterial! Also hetze ich noch in die Apotheke um 150 m Mullbinden und Kinderschmerzmittel zu holen. Daheim werde ich gerügt, denn Kinderschmerzmittel reichen für die zu erwartende Folter nicht aus. Obendrein nicht für die Kinder, sondern für uns Erwachsene. So langsam macht sich Panik in mir breit.

Dann geht’s los. Gastkind Nr. 1 trifft ein. Nur aus den Augenwinkeln bemerke ich, wie die Frau an meiner Seite sich die Finger in die Ohren steckt. Noch irritiert schauend war der Grund ihres Handels einen Augenblick lang zu hören. Etwas heulte auf. Etwas Sirenen ähnliches. Ein kurzes „Knack“ im Ohr und es war wieder ruhig. Trommelfell geplatzt. Die Eltern unterhalten sich noch, während die beiden Kinder los jagen um die Wohnung zu erkunden. Küche, Kinderzimmer, Wohnzimmer…. NEIN! Nicht das Schlafzimmer. Wir sagten NICHT das Schlafzimmer! NEIN! Na gut, aber nur kurz. Hier noch das Büro und das Bad. Kaum ins hochdekorierte Wohnzimmer, gefühlte Millionen an Luftballons zieren die Decke, Girlanden mit dem Schriftzug „Happy Birthday“ spannten von Wand zu Wand. Luftschlangen bildeten ein Dickicht, das kaum zu durchdringen ist. Irgendwo in diesem Dschungel sind nun die Kinder.

Es klingelt erneut. Inzwischen geschult halte auch ich mir die Ohren zu. Erneut musste ich irritiert zu meiner hübschen Partnerin sehen. Die Arme vor der Brust verschränkt stand sie ganz entspannt da. Ich mache den Fehler die Finger wieder aus den Ohren zu nehmen. Sekunden später spürte ich, wie meine Trommelfelle packten und den Kopf verließen. Erneut mit dem Gefühl taub geworden zu sein, schaue ich zu der Frau neben mir. Sie pulte relaxt das Wachs aus ihren Ohren und grinste mich an. Wieder ging die Begrüßungsrunde los. Hier die Küche, Kinderzimmer, Wohnzimmer, NEIN! Wir haben gesagt, NICHT das Schlafzimmer. NEI.. aber nur kurz reinschauen! Inzwischen schossen, ähnlich wie Neutronen, die sich voneinander abstoßen, drei Kinder durch die Wohnung.

Wenige Minuten später kommt Gastkind Nr. 3. Kontrollierender Blick zu meiner Süßen und erneutes erschrecken. Keine Finger in den Ohren, kein Wachs in den Ohren. Überhaupt, Ohren nicht geschützt. Trotzdem steckte ich mir die Zeigefinger in die Ohren. Mein Schatz schüttelt nur den Kopf und lächelt. Kein hochfrequenter Schrei zur Begrüßung. Dafür durchzuckt mich ein Schmerz am Schienbein. Kaum nach unten sehend bekomme ich noch eine saftige Ohrfeige von Gast Nr. 3. Dessen Eltern schauen nur mitleidig und fragen: „Keine Schienbeinschoner?“ Zu meiner nächsten Überraschung keine Führung durch die Wohnung, sie verschwinden gleich im Luftschlangendschungel.

Es klingelt zum 4. und letzten Mal. Ich verstecke mich vorsichtshalber auf der Küchenlampe. Ein eher schüchtern zu nennendes Mädchen kommt herein. Ich seile mich also wieder ab und krabbel dem Gebrüll folgend vorsichtig ins Wohnzimmer-Luftschlangen-Dickicht. Von links oben höre ich einen Kampfschrei, ducke mich instinktiv und gehe zu Boden, weil ich von hinten angesprungen werde. So auf die Knie gezwungen höre ich nur ein „Hüaaa!“ und trabe los, bevor Schlimmeres passieren kann. Aus der Ferne klingt die Stimme meiner Liebsten: Muffins! JAAA die Rettung.

Sekunden später versuche ich zu erforschen, ob nicht Termiten über das Haus hergefallen sind. Keine Minute später brüllte meine Stieftochter zum Angriff. Es mochte Spiele spielen, sofort! Das Dickicht aus Papierbändern wurde gelichtet, damit zumindest bodennah auch in 50 cm Entfernung noch jemand entdeckt werden konnte. Flaschendrehen! In mir stieg erneut Panik auf. Flaschendrehen bei SECHS-jährigen? Bilder von wilden Partys aus meiner Jugend steigen in mir auf. Meist in wilden Knutschereien endend. Den Puls auf einem Anschlag von 240 wurde ich beruhigt, das Flaschendrehen lost nur aus, welches der Gastkinder nun ihr Geschenk übergeben darf. Gelache und Geschreie erfüllten den Raum, Konfetti flog in Mengen durch den Raum. Ich versuche mich daran zu erinnern, wer Konfetti gekauft hatte. Nun, ein neugieriges kleines Mädchen zerfetzte reißwolfähnlich das Geschenkpapier, das die Gaben umhüllte. Irgendwoher wittere ich Brandgeruch. Die Quelle war schnell gefunden, ein Berg aus zerfetztem Geschenkpapier war einer Kerze zu nahe gekommen und erfreute sich daran, einmal groß rauszukommen. Die Frage nach dem Feuerlöscher jetzt verstehend, hechtete ich in die Küche um Schlimmeres zu verhindern. Spiel Nr. 2 wurde aufgerufen: Schokolade essen. Einzelheiten erspare ich euch, das Messer konnte ich mit der Gabel wieder aus meiner Leber hebeln und mich anschließend im Bad davon überzeugen, das die Blessuren des sich bisher zurückhaltenden Stiefsohnes gut mit feuchten, kalten Handtüchern versorgt wurden. Vorsichtig spähte ich aus der Badezimmertür in den Korridor. Es wurde zum nächsten Spiel aufgerufen: Topfschlagen! Kind Nr. Eins krabbelte mit verbundenen Augen und einem Kochlöffel über den Boden, mit dem Kochlöffel den Boden abklopfend. Ha! Wie gefährlich konnte das schon sein? Das Krachen meines linken Mittelfußknochens erklärte es mir. Heute weiß ich sogar, das aus einfachen Haushaltsgips doch recht gute Gipsverbände geformt werden können. Spiel Nr. 4 wurde aufgerufen. Feuer und Wasser. Ein irres Flackern in meinen Augen konnte ich nicht vermeiden. Überraschend friedlich verlief dieses Spiel und ich war wieder fröhlich und mit der Situation ausgesöhnt. Wie herrlich ist doch Kinderlachen! Bis dann vom Stiefsohn „Donner“ ausgerufen wurde. Stunden später kam ich unter den Trümmern des Hauses zu mir, geborgen von Einsatzkräften der Feuerwehr und des Katastrophenschutzes. Eine Frage hämmerte mir im Kopf herum: Woher hat der Junge das Dynamit? Dann fällt es mir wieder ein, der Chemiebaukasten an Weihnachten. Etwas orientierungslos schaute ich mich um. Dann sah ich erst meine fröhlich hüpfende Stieftochter, lauthals „Nochmal!“ rufend. Nicht weit entfernt mein Stiefsohn beleidigt dreinblickend vor sich hinmurmelnd: „Maaan, war das langweilig.“ Etwas weiter mein geliebter Schatz umringt von den Gastkindern, die freudig riefen, ob es im nächsten Jahr wieder ein Feuerwerk geben wird.

Ja, Kindergeburtstag und ich habe überlebt! Und ich freue mich auf den nächsten!

Notiz an mich selbst: Im nächsten Jahr erst eine neue Wohnung suchen, dann feiern.

Bitte bleibt mir gewogen!

Über Marcus Sammet

Über mich? www.marcussammet.de Da wird alles gesagt.
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Eine Antwort zu Kindergeburtstag

  1. klebefolien sagt:

    Sehr interessanter Artikel. Hoffe Sie veröffentlichen in regelmäßigen Abständen solche Artikel dann haben Sie eine Stammleserin gewonnen. Vielen dank für die Informationen.

    Gruß Anna

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